„Bund und Freistaat müssen eigene Grundstücke mobilisieren“
Seit Juli 2017 ist Augsburgs Oberbürgermeister Dr. Kurt Gribl Vorsitzender des Bayerischen Städtetags. „Immobilien Wirtschaft Bayern“ hat sich mit dem 55-Jährigen, der vor seinem Wechsel in die Politik unter anderem als Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht tätig war, über die Rolle des kommunalen Spitzenverbands und die künftigen Herausforderungen bei Thema Wohnungsbau unterhalten.
Herr Dr. Gribl, der Bayerische Städtetag gilt als wichtiger Ansprechpartner und Akteur, der sich für die Wahrung der kommunalen Selbstverwaltung einsetzt. Welche vorrangingen Ziele verfolgt der Bayerische Städtetag?
Wohnungsbau ist für uns ein enorm wichtiges Thema. Es muss uns gelingen, alle Kräfte zu bündeln, um künftig mehr bezahlbaren Wohnraum in Bayern zu schaffen. Nur wenn alle Akteure auf dem Wohnungsmarkt zusammenwirken, wird sich das Angebot in absehbarer Zeit deutlich erhöhen: Bund, Freistaat, Kommunen, Kirchen, private Wohnungsunternehmen, aber auch private Bürgerinnen und Bürger müssen an einem Strang ziehen. Die Mitglieder des BFW Bayern sind dabei wichtige Akteure. Mehr als 200 Mitglieder bauen und erhalten Wohnungen, entwickeln Gewerbe und leisten damit einen unverzichtbaren Beitrag für die Wohnraumversorgung der Bürgerinnen und Bürger und damit für die Entwicklung unserer Städte. Sie haben unser vorrangiges Ziel bereits in Ihrer Fragestellung angesprochen, den Einsatz für die kommunale Selbstverwaltung. Denn „ohne Städte ist kein Staat zu machen“. Dieser Satz von Bundespräsident Theodor Heuss hat nach mehr als 60 Jahren seine Gültigkeit bewahrt. Die Städte wirken wie ein Laboratorium der Demokratie: Hier zeigen sich gesellschaftliche Strömungen zuerst, hier wirken sich die Folgen von wirtschaftlichen Entwicklungen am sichtbarsten aus, hier bündeln sich wie unter einem Brennglas soziale Probleme. Der Bayerische Städtetag setzt sich dafür ein, das Erfolgsmodell der kommunalen Selbstverwaltung in die Zukunft zu tragen und für künftige Herausforderungen zu ertüchtigen, sei es der demografische und gesellschaftliche Wandel, die Integration neuer Menschen, die zuallererst in der Stadt, im Quartier erfolgt, oder der Digitale Wandel. Der Bayerische Städtetag bietet aber auch eine Plattform zum Erfahrungsaustausch seiner Mitglieder. Er ist also in gewisser Weise auch Selbsthilfegruppe der Städte und Gemeinden.
Im Bereich Bauen und Planen ist der Städtetag ebenfalls tätig. Wo sehen Sie im Bereich Wohnungsbau die Herausforderungen auf kommunaler Ebene?
In der Mobilisierung von Bauland und den damit verbundenen Herausforderungen. In den stark verdichteten Städten in Bayern und inzwischen auch im Umland dieser Städte machen Grundstückspreise den Hauptanteil an Wohnungskosten aus. Bebaubare Grundstücke sind Mangelware. Sie finden sich nur noch in Baulücken. Größere Entwicklungsflächen, etwa nicht mehr genutzte Bundeswehrliegenschaften, sind – trotz des spürbaren Verlusts der Bundeswehr – dann sehr willkommen. Viele Private, darunter auch Landwirte, zeigen derzeit wenig Bereitschaft, Flächen selbst zu bebauen oder zu verkaufen. Grundstücke werden für die Nachkommenschaft aufbewahrt oder in Erwartung steigender Baulandpreise gehalten. Bei der aktuellen Zinsentwicklung darf man den Eigentümern auch keinen Vorwurf machen. Den Städten fehlen aber die Instrumente, um die ungenutzten Grundstücke für den Wohnungsbau, für Kindergärten oder für Schulen zu aktivieren. Viel schwieriger als mit den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die unseres Erachtens derzeit die Baulandmobilisierung erschweren, ist es aber mit der emotionalen Dimension der Nachverdichtung umzugehen.
Woran liegt das aus Ihrer Sicht?
Nachverdichtung stößt auf Widerstand der Nachbarschaft. Möchte eine Stadt Wohnungen auf bestehenden Baulücken errichten, bedeutet das für die unmittelbare Nachbarschaft einen Verlust von Grünflächen zur eigenen Entfaltung, einer freien Aussicht und Baulärm. Dieser Verlust an Freiraum ist oft kein Verlust im Rechtssinne, aber ein Verlust, der von den Bürgerinnen und Bürgern Akzeptanz und Toleranz einfordert. Nachverdichtung bedeutet für die Nachbarschaft, neuen Menschen zu begegnen, die zunächst Unbekannte sind. Dabei sind die Vorbehalte gerade gegenüber geförderten Wohnprojekten und gegenüber den Menschen, die darin leben, besonders groß.
Welche Möglichkeiten sehen Sie, mit dieser Problematik umzugehen?
Die Kommunalpolitik muss für Akzeptanz und Toleranz werben und mit den Ängsten und Sorgen der ortsansässigen Bevölkerung umgehen, diese ernst nehmen und auf diese eingehen. Die Kommunalpolitik muss aber auch den Mut haben, diesen Ängsten und Sorgen entgegenzutreten. Denn in vielen Fällen sind Sorgen unbegründet und können Vorbehalte ausgeräumt werden. Der soziale Wohnungsbau in den Städten ist heute weit entfernt von den Plattenbauten der 1960er-Jahre und von einseitigen Belegungsstrukturen oder Arbeitslosigkeit und Armut. In Zeiten dynamisch steigender Mietpreise sind viele Menschen auf geförderte Wohnungen angewiesen: der Polizeibeamte, der Bankangestellte, die Studentin, die alleinerziehende Mutter, die junge Familie, der Rentner oder Pensionär, und auch der anerkannte Flüchtling.
Die Mobilisierung von Bauland haben Sie bereits als zentrale Herausforderung in Sachen Wohnungsneubau identifiziert. Welche Lösungsvorschläge haben Sie, um mehr Grundstücke ausweisen zu können?
Der Bayerische Städtetag hat sich in den vergangenen Jahren intensiv damit befasst, Vorschläge auszuarbeiten und an die Bundes- und Landespolitik heranzutragen, um die Rahmenbedingungen für die Baulandmobilisierung und für den Wohnungsbau im Allgemeinen zu verbessern. Ich möchte nur auf einige wenige näher eingehen: Städte und Gemeinden benötigen mehr Spielräume zu einer strategischen Flächenbevorratung. Ein zentrales Instrument wäre, ein generelles Vorkaufsrecht für Grundstücke auf dem eigenen Hoheitsgebiet gesetzlich zu verankern. Neben den bauplanerischen Instrumenten, von denen ich nur eines herausgegriffen habe, müssen aber auch außerhalb des Baurechts Anreize zur Flächenmobilisierung geschaffen werden. Der Bayerische Städtetag hat einen ausformulierten Lösungsvorschlag in die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD eingebracht, der – zunächst zeitlich befristet – eine steuerliche Begünstigung für Landwirte vorsieht, wenn Grundstücke an Städte für den Wohnungsbau, für Kindergärten, Schulen oder neue Verkehrswege veräußert werden. Im Koalitionsvertrag wurde dieser Vorschlag aufgegriffen. Und schließlich besitzen Bund und Freistaat eigene Grundstücke, die von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben oder der Immobilien Freistaat Bayern verwaltet werden. Diese Grundstücke müssen, sofern sie für den Wohnungsbau geeignet sind, mobilisiert werden. Das muss der Freistaat durch seine neu gegründete BayernHeim machen und der Bund muss einen gesetzlichen Rahmen schaffen, dass Grundstücke der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben nicht zum Höchstpreis, sondern unter Berücksichtigung der sozial- und strukturpolitischen Ziele der Kommunen verkauft werden. Die derzeit bestehenden und diskutierten Verbilligungssätze genügen nicht.
Andererseits ist häufig auch die Rede von übermäßigem Flächenverbrauch. Wie stehen Sie hierzu?
Ein konsequenter Vorrang der Innenentwicklung und flächensparender Nutzungen muss in der Landesplanung, bei Fachplanungen wie bei kommunalen Planungen sowie im Förderwesen gelebt werden. Das Volksbegehren zur Verringerung der Flächenneuinanspruchnahme hat diese wichtige Zielsetzung wieder in die öffentliche Diskussion gerückt, ist aber bei der Wahl der Mittel über das Ziel hinausgeschossen und wurde deshalb auch vom bayerischen Innenministerium und vom Verfassungsgerichtshof nicht zugelassen.
Wie kann der Bayerische Städtetag mithelfen, dem Wohnungsdruck in den bayerischen Ballungszentren gerecht zu werden?
Indem er weiterhin in seiner Gremienarbeit Probleme identifiziert, auf dieser Grundlage Lösungsvorschläge erarbeitet und an die Bundes- und Landespolitik heranträgt. Das ist beispielsweise bei der bayerischen Wohnraumförderung schon gut gelungen. Hier haben wir vor Jahren massiv darauf hingewirkt, dass die Förderbedingungen so attraktiv ausgestaltet werden, dass sie nicht nur von kommunalen Gesellschaften und sozialen Bestandshaltern abgerufen werden, sondern auch für private Investoren wieder attraktiver werden. 2015 wurden erstmals echte Zuschüsse gewährt, weil allein zinsvergünstigte Darlehen keinen Anreiz mehr geschaffen haben. Eine weitere wichtige und lohnenswerte Arbeit ist es, die Stadt-Umland-Beziehungen zu intensivieren. Genügend Wohnraum werden wir nur schaffen können, wenn Stadt und Umland gemeinsam anpacken, nicht in dem Sinne, dass das Umland Wohnraum für die Stadt schafft, sondern im Sinne eines gerechten Ausgleichs und im gegenseitigen Einvernehmen.
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