„Derzeitige Klima-Strategie im Gebäudesektor ist gescheitert!“
In unserer Interview-Reihe „Im Fokus“ verraten Expertinnen und Experten der Wohnungswirtschaft, was die Branche wirklich bewegt. In dieser Ausgabe spricht Professor Dr.-Ing. Norbert Fisch, Leiter des Forschungsinstituts SIZenergieplus Braunschweig/Stuttgart, darüber, warum er gemeinsam mit vier anderen Wissenschaftlern einen Kurswechsel in der Klimapolitik des Gebäudesektors fordert.
iwm-aktuell: Herr Prof. Dr.-Ing. Fisch, Sie und vier Professoren Kollegen haben ein Manifest für eine neue Klimapolitik im Gebäudesektor in der Bundespressekonferenz am 14. November vorgestellt. Was war der Anlass, die Initiative „Praxispfad zur CO2-Reduktion im Gebäudesektor“ ins Leben zu rufen?
Wir haben in unseren Forschungs- und Praxisprojekten über viele Jahre hinweg beobachtet, wie die aktuelle Strategie im Gebäudesektor mit ihrer einseitigen Fokussierung auf immer höhere Energieeffizienzstandards nicht die gewünschten Ergebnisse liefert. Die Fokussierung auf „Efficiency First“ hat in den letzten 10 Jahren den jährlichen Heizenergieverbrauch des Gebäudesektors nicht gesenkt, er liegt im Mittel um 150 kWh/(m2a). Die Dringlichkeit eines Paradigmenwechsels wurde durch die finanziellen Engpässe im Bundeshaushalt und die gescheiterten politischen Ansätze noch deutlicher. Unser Ziel ist es, eine realistischere und sozial verträgliche Lösung aufzuzeigen, die die CO2-Reduktion ins Zentrum stellt – „Klimaschutz first“.
Was genau kritisieren Sie an der aktuellen Politik und warum sehen Sie darin eine Sackgasse?
Die Politik setzt auf maximale Energieeffizienz im Gebäudesektor. Der EH 40 Standard wird im Neubau gefördert obwohl das Kosten/Nutzenverhältnis in der Praxis kaum feststellbar ist. Im Neubau sollten eher die „Grauen Emissionen“ begrenzt und deren Reduktion durch Förderungen unterstützt werden. In der Praxis zeigt sich, dass hohe Sanierungstiefen nicht nur extrem teuer sind, sondern die erhofften CO2– Einsparungen nicht erreicht werden.
Viele Gebäude die nach der 1. Wärmeschutz-Verordnung (1978) gebaut wurden sind bereits gut gedämmt und niedertemperaturfähig, sodass Wärmepumpen ohne große Umbauten eingesetzt werden können. Trotzdem werden teure Maßnahmen wie der Austausch von Heizkörpern oder die Nachrüstung von Fußbodenheizungen gefordert – oft völlig unnötig. Das ist weder wirtschaftlich noch nachhaltig. Wir müssen umdenken und die Maßnahmen auf die effektivste Reduzierung der Treibhausgasemissionen fokussieren.
Ihr Ansatz verspricht deutlich geringere Kosten bei der Förderung. Können Sie erläutern, wie das möglich ist?
Bei Gebäuden mit jährlichen Heizwärmeverbräuchen unter 150 kWh je Quadratmeter müssen nicht zwangsläufig zuerst Verbesserung der thermischen Eigenschaften der Hülle erfolgen („Efficiency First“). Maßnahmen zur Defossilisierung der Wärmeversorgung führen zu erheblich geringeren Investitionskosten bei gleicher Reduzierung des CO2-Footprints („Klimaschutz First“). Gleichzeitig können wir damit den Fördermittelbedarf erheblich reduzieren – von derzeit 50 Milliarden auf nur 18 Milliarden Euro pro Jahr – was den knappen Haushaltsmitteln bei Bund und Ländern zugutekommt. Der Schlüssel liegt darin, bestehende Ressourcen effizient zu nutzen und teure Sanierungstiefen (EH 55 oder EH 70) zu verschieben.
Wir fordern die grauen Emissionen beim Neubau und der Sanierung, also die Treibhausgase, die durch Herstellung und Einbau der Baustoffe entstehen zu berücksichtigen („Verursacher-Prinzip“).
Unser Ansatz ist kosteneffizienter und führt schneller zur Reduzierung der klimaschädlichen Treibhausgase.
Welche konkreten Maßnahmen schlagen Sie vor, um die CO2-Emissionen im Gebäudebereich zu senken?
Unsere Initiative setzt für den Gebäudesektor auf einen klar definierten praxistauglichen CO2– Reduktionspfad. Im Vordergrund stehen schnell wirksame und kosteneffiziente Maßnahmen, wie z.B. die Betriebsoptimierung unterstützt durch Monitoring und eine transparente Nutzer-Information zum momentanen Wärmeverbrauch und den damit verbundenen Energiekosten. Ein großer und zugleich kosteneffizienter Hebel zur CO2-Reduzierung liegt in einer beschleunigten Defossilisierung der Wärmeversorgung durch elektrische Wärmepumpen oder den Anschluss an ein emissionsarmes Wärmenetz. Ein weiteres großes Reduktionspotenzial hat die Sanierung der energetisch schlechtesten Gebäude (Heizwärmeverbrauch über 200 kWh/(m2a)), jedoch sind die Investitionskosten erheblich höher im Vergleich zur Transformation der Wärmeversorgung. Wir empfehlen moderate Sanierungstiefen bis etwa EH 100, alles darunter führt zu hohen Investitionen und verringert die Kosteneffizienz.
Gleichzeitig müssen wir die politischen Regulierungen vereinfachen, das Gebäudeenergie-Gesetz (GEG) mit über hundert Paragraphen ist im Hinblick auf die Klimaziele (keine Verbrennung mehr von Öl und Gas – Zukunft ist Elektrisch) überholt. Die seit 1. Januar 2024 geltende Novellierung des GEG fordert im neuen § 71 das Heizungsanlagen mind. 65% Erneuerbare Energien nachweisen müssen. Wann und wie dies erfolgen soll ist ein komplexes Konstrukt und kaum zu durchschauen.
Auch der Erhalt von Bestandsgebäuden muss stärker gefördert werden, da Abriss und Neubau mit erheblichen grauen Emissionen verbunden sind.
Diese praxisorientierten Maßnahmen sorgen dafür, dass wir die Klimaziele erreichen und gleichzeitig bezahlbares Wohnen gewährleisten können.
Wie möchten Sie die Öffentlichkeit und die Immobilienbranche in Ihre Initiative einbinden?
Wir laden gezielt Akteurinnen und Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik ein, sich unserer Initiative anzuschließen. Ein zentraler Bestandteil unseres Ansatzes ist der öffentliche Diskurs. Nur durch Zusammenarbeit und die Einbindung aller Beteiligten können wir einen breiten Konsens und tragfähige Lösungen entwickeln. Mit unserem Manifest haben wir einen ersten Impuls gegeben, aber nun braucht es Engagement aus allen Bereichen, um die Ziele gemeinsam umzusetzen. Der GdW (Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen) ist einer der ersten Verbände die uns bei der Initiative unterstützen. Unterstützer der Initiative können sich hier registrieren: Beitritt Initiative Praxispfad CO₂-Reduktion im Gebäudesektor.
Bildquelle: Herr Prof. Dr.-Ing. Fisch/egs-plan
Schlagwörter: Immobilienwirtschaft, Wohnungswirtschaft, Zukunft