„Bei der Energiewende das gesamte Portfolio im Blick behalten“
In unserer Interview-Reihe „Im Fokus“ verraten Expertinnen und Experten der Wohnungswirtschaft, was die Branche wirklich bewegt. In dieser Ausgabe berichtet Dr. Alexander Conreder, Leitung Wohnungswirtschaft bei EnBW Energie Baden-Württemberg AG, warum bei der Energiewende nicht nur in Einzelmaßnahmen gedacht werden, sondern das gesamte Portfolio im Blick behalten werden sollte.
iwm-aktuell: Herr Dr. Conreder, neben der Sanierung ihres Immobilienbestands und der Schaffung neuen Wohnraums sollen Bestandshalter gemäß der Ziele der Bundesregierung auch verstärkt Photovoltaik-Anlagen auf die Dächer bringen. Kann dies überhaupt parallel gelingen?
Dr. Alexander Conreder: Photovoltaik ist ein elementarer Baustein der Energiewende. Gerade im Bereich der Mehrfamilienhäuser und Gewerbeobjekte sehen wir enormes Potenzial, das bislang kaum erschlossen wurde. Ein wesentlicher Grund, weshalb dieser Bereich bis dato vernachlässigt wurde, ist in der Komplexität der Umsetzung zu finden – sowohl bei Installation, Betrieb als auch bei Abrechnung und Erfüllung gesetzlicher Anforderungen. Insbesondere im Rahmen des bestehenden Mieterstrommodells nach §21 EEG übernimmt der Betreiber praktisch die Rolle eines Energielieferanten und muss eine Vielzahl an Paragraphen berücksichtigen. Diesbezüglich hat die Bundesregierung mit dem Solarpaket I zumindest teilweise Abhilfe geschaffen.
Stichwort Solarpaket I – sorgen die neuen gesetzlichen Regelungen in der Praxis denn tatsächlich für die von der Immobilienbranche erhoffte Vereinfachung?
Ja und nein. Auf der einen Seite sind im Zuge des neuen Gesetzespakets sehr viele Regularien weggefallen, sodass die Abrechnung des PV-Stroms leichter erfolgen kann – beispielsweise im Rahmen einer Nebenkostenabrechnung. Die Messkonzepte sind hingegen leider nicht einfacher geworden und der aktuelle Umsetzungsweg erfordert überdies Anpassungen an den Systemen der Energielieferanten, Messstellen- und Netzbetreiber. Aufgrund dessen ist es für wohnungswirtschaftliche Unternehmen ein Vorteil, von markterfahrenen Dienstleistern wie der EnBW an die Hand genommen und durch erste Piloten geführt zu werden – von der Auslegung und Konzeption bis hin zur Abrechnung. Zu den bestehenden Themen wie Wärmeerzeugung und Ladeinfrastruktur kommt nun auch die Balkon-Photovoltaik dazu, die hierbei ebenfalls zu berücksichtigen ist.
Unabhängig von den gesetzlichen Rahmenbedingungen – welche weiteren Faktoren tragen dazu bei, dass PV-Strom für die Wohnungswirtschaft weiter an Bedeutung gewinnen wird?
Wir beobachten bereits seit einiger Zeit, dass sich die Sicht der Kunden in erster Linie im Hinblick auf die verpflichtende Nachhaltigkeitsberichterstattung stark verändert hat. Früher wollten viele Bestandshalter die Dächer ihrer Immobilien einfach verpachten und mit der gesamten Abwicklung möglichst wenig zu tun haben – natürlich auch aus steuerrechtlichen Gründen und aufgrund fehlender Investitionsmittel. Zwar herrscht bei Genossenschaften und kommunalen Wohnungsunternehmen auch heute noch viel Unsicherheit, wie mit den Einnahmen aus Photovoltaikanlagen oder dem damit verbundenen Energieliefervertrag umzugehen ist. Allerdings sind die Kunden inzwischen deutlich besser informiert. Einige Wohnungsunternehmen haben eigene Tochtergesellschaften zur Verwaltung der PV-Einkünfte gegründet und wollen selbst in die Anlagen investieren – vor allem auch, um die CO2-Gutschriften für sich verbuchen zu können.
Worauf sollten wohnungswirtschaftliche Unternehmen bei der Realisierung ihrer PV-Anlagen besonderes Augenmerk legen?
Gerade für Bestandshalter ist es wichtig, Synergien innerhalb eines Objekts zu nutzen und Standardlösungen im Bestand auszuprägen – nicht nur bezüglich des Monitorings der Anlagen und der praktizierten Abrechnungsmodelle, sondern auch in Verbindung mit einer E-Ladeinfrastuktur oder der Einbindung steuerbarer Verbrauchseinrichtungen gemäß §14a EnWG. Darüber hinaus empfiehlt es sich, anstehende Sanierungsmaßnahmen, bei denen ohnehin ein Gerüst gestellt werden muss, zum Anlass zu nehmen, um zeitgleich eine PV-Anlage zu installieren. Dabei kann auch ein sogenanntes Anlagen-Splitting helfen: Dies ermöglicht es, die PV-Anlage direkt auf einen größeren Bedarf auszulegen – beispielsweise für den späteren Zubau einer Wärmepumpe oder einer E-Ladeinfrastuktur – und dennoch ab Betriebsstart eine gute Wirtschaftlichkeit zu erzielen.
Wie unterstützt die EnBW ihre wohnungswirtschaftlichen Kunden bei der Planung und Umsetzung von PV- und Mieterstromprojekten?
Bei den Maßnahmen zur Energiewende sollte stets das gesamte Immobilienportfolio im Blick behalten und nicht nur in Einzelmaßnahmen gedacht werden. Als zuverlässige Partnerin der Wohnungswirtschaft bietet die EnBW maßgeschneiderte Lösungskonzepte: Um die richtige Objekt-Abfolge und die am besten geeigneten Modelle festzulegen, gruppieren wir die einzelnen Liegenschaften – analog einer seriellen Sanierung – in verschiedene Klassen und ermitteln auf dieser Grundlage die richtige Auslegung, das passende Messkonzept und die sinnvollsten Abrechnungsmodelle für das Wohnungsunternehmen. In Abgleich mit einer Klima-Roadmap, wie sie zum Beispiel mithilfe der Software mevivoECO abgebildet werden kann, kommen wir so zu einer optimalen Reihenfolge des Zubaus der PV-Anlagen. Noch wichtiger ist aus Kundensicht jedoch die Klärung der Frage, welche Leistungen das Wohnungsunternehmen selbst erbringen möchte und welche Aufgaben von einem Dienstleister übernommen werden sollen. Wir stellen immer wieder fest, dass die Vorstellungen unserer Kunden in diesem Punkt sehr unterschiedlich sind – die Bandbreite reicht von dem Wunsch, möglichst wenige Prozesse selbst steuern zu müssen bis hin zur Etablierung eigener Workflows für den Vertragsabschluss und den Betrieb der PV-Anlagen.
Für eine Gesamtschau klingt das nach einem sinnvollen Szenario. Doch was ist, wenn es sich nicht um ein Portfolio, sondern nur um ein einzelnes Objekt handelt, das zum Beispiel von einem Projektentwickler realisiert wird?
Auch in diesem Fall ist es ratsam, eine übergreifende Strategie zu entwickeln. Der Projektentwickler will sich schließlich nicht jedes Mal aufs Neue Gedanken machen müssen, welches PV-Mieterstrommodell er ausprägen möchte. Daher ist es durchaus sinnvoll, für verschiedene Gebäudetypen – ob mit oder ohne Gewerbe, Ladeinfrastruktur oder Wärmepumpe – bereits im Vorfeld Standardlösungen festzulegen, die jeweils bei Bedarf zugrunde gelegt werden können. Auch die Teilungserklärung soll ja nicht jedes Mal neu erfunden werden.