Entwicklungschancen der Rhein-Main-Region
Knapp 100 Vertreter der Immobilienbranche sind am 13. April 2016 der Einladung des BFW Hessen/Rheinland-Pfalz/Saarland gefolgt und haben an der dritten ImmoLounge in Frankfurt am Main teilgenommen. Unter den Gästen waren auch Andreas Eisele, Präsident des befreundeten Landesverbands aus Bayern sowie Vertreter des BFW Bund. Als Gastredner beleuchtete Prof Dr. Martin Wentz, ehemaliger Baudezernent der Stadt Frankfurt sowie Vizepräsident der IHK Frankfurt am Main, die Entwicklungschancen der Rhein-Main-Region.
Wentz wurde 1955 in Halle an der Saale geboren und studierte Physik in Frankfurt. „Ich bin mit der Geschichte der Stadt eng verbunden. Im Alter von fünf Jahren bin ich mit meinen Eltern hergezogen, ich bin hier aufgewachsen.“
Angesichts der Entwicklung der vergangenen Jahre zeigt sich der Referent traurig, „dass wir viele Chancen, die sich in den wachsenden Großstädten bieten, nur eingeschränkt nutzen“. Diese Einschätzung erläutert er anhand des Wachsens und Schrumpfens der deutschen Städte: „Interessant ist für Planer immer die Dynamik eines Prozesses, hier lohnt sich ein Blick auf die Bevölkerungsentwicklung nach der deutschen Wiedervereinigung: Von 1990 bis 2010 haben gewaltige Wanderungen stattgefunden, von den neuen in die alten Bundesländer. Zuwanderungsschwerpunkte waren Süddeutschland und im Norden Oldenburg, Hamburg und Bremen. Das hat natürlich mit der Wirtschaftsentwicklung zu tun. Wenn man auf das Jahr 2030 hochrechnet, erkennt man die ganze Dramatik des Prozesses, der sich kontinuierlich fortsetzt. Insbesondere die Großräume Berlin und München werden weiter wachsen.“
Diese Prognose lasse darauf schließen, dass Stadtplaner in Zukunft vor ganz neuen Herausforderungen stehen. Die Raumdimensionen änderten sich in ihrem Maßstab. Dies macht Wentz anhand eines Beispiels deutlich: „Ende des 19. Jahrhunderts betrug die maximale Entfernung von Wohnort und Arbeitsplatz fünf Kilometer. Dafür brauchte man eine Stunde. Heute kann ich in einer Stunde bis zu 200 Kilometer zurücklegen. Das führt zu unübersehbaren Arbeitsplatzkonzentrationen.“
Die Historie der Stadt Frankfurt am Main spiegle diese Erkenntnis wider: Während des Zweiten Weltkriegs hatte die Stadt rund 250.000 Einwohner verloren, nach 1945 zeichnete sich wieder ein enormer Zuwachs ab. Ab diesem Zeitpunkt wurde in kurzer Zeit Wohnraum für 300.000 Menschen geschaffen. „Aus heutiger Sicht eine grandiose Leistung“, betont Wentz. Nach 1989 kam dann der zweite Peak im 20. Jahrhundert, als 40.000 Zuwanderer nach Frankfurt strömten. „Aus dieser Zeit stammen die ganzen Wohnungsbauprojekte, die heute noch gebaut werden. Als junger Planungsdezernent hatte ich damals eine Milliarde Mark zur Verfügung, aber kein Bauland“, erinnert sich der Experte.
Aktuell wächst Frankfurt um etwa 14.000 Menschen pro Jahr. „Und über die regen wir uns auf? Was sind wir für eine mickrige Gesellschaft geworden! Jede Stadt sollte froh sein, wenn junge Menschen zur Ausbildung und Arbeit kommen. Das ist doch die Kraft der Zukunft“, sagt Wentz, der überzeugt ist, dass sich die Ursachen für die Zuwanderung sich in den kommenden Jahren nicht ändern werden. Vor diesem Hintergrund werden im Jahr 2020 rund 800.000 Menschen in Frankfurt leben. „Aktuelle Prognosen gehen aber davon aus, dass dieser Wert erst 2030 erreicht wird. Und wenn Planer sich auf diese Aussage verlassen, machen sie den größten Fehler ihrer Berufslaufbahn“, warnt der Experte.
„Wenn Sie heute für die grüne Wiese planen, schallt Ihnen entgegen: Keine suburbanen Trabantenstädte mehr! Das ist alles falsch, denn das sind heute die beliebtesten Stadtteile, egal ob in München oder Frankfurt. Ostend und Sachsenhausen sind beispielsweise bereits im späten 19. Jahrhundert bebaut worden und verfügen über eine ausreichende Baudichte, die wiederum eine ausreichende soziale Dichte gewährleistet.“
Dass die Schaffung neuen Wohnraums heutzutage mit mehr Hürden verbunden ist, führt Wentz insbesondere auf die ständigen Verschärfungen im Rahmen der Energieeinsparverordnung zurück: „Wir bauen inzwischen eine Haustechnik in die Wohnungen, die mittleren Bürogebäuden sehr nahe kommt. Das hat zur Folge, dass der Käufer nach 20 oder 30 Jahren ein neues Darlehen aufnehmen muss, weil die Haussanierung zu teuer wird, um sie vom Ersparten zu bezahlen. Wir sprechen hier ja von 30 bis 40 Prozent der Neubaukosten.“ Auch von kommunaler Seite werden ständig Anforderungen erweitert, als Beispiel nennt Wentz die geplante Fahrstellplatzsatzung der Stadt Frankfurt: „Durch die Vorgabe, die ebenerdig im Gebäude unterbringen zu müssen, steigen die Baukosten sofort um fünf Prozent, weil fünf Prozent Wohnfläche verloren geht.“
Um den künftigen Bedarf decken zu können, müssten in Frankfurt bis 2020 jährlich 6.200 Wohnungen gebaut werden. Tatsächlich gebaut wurden 2014 nur 3.000 Wohnungen. „Das heißt, die Situation eskaliert weiter. Zum Vergleich: Der jährliche Wohnflächenbedarf entspricht dem Frankfurter Riedberg insgesamt. Das zeigt anschaulich, unter welchem Druck wir stehen. Vor diesem Hintergrund sind alle energetischen Anforderungen der neuen EnEV weder ökologisch noch ökonomisch verantwortbar.“
Fotonachweis: BFW Hessen/Rheinland-Pfalz/Saarland